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Vorsitzende/n des Ausschusses
für Verkehr, Umwelt und Klima
Im Hause
Frechen, 03. November 2021 / 56 Ergänzung
Ergänzende Erläuterungen zu dem SPD-Antrag vom 30.08.2021 an den VUA
Wohngebiet „In der Widdau“ Oberflächenwasser bei Starkregen
hier: Antwort auf eine Nachfrage per E-Mail der Fachdienstleitung 9 vom 05.10.2021 an die SPD-Fraktion Frechen
Sehr geehrter Herr Stahlschmidt,
Sie fragten in Ihrer o.g. E-Mail nach 1. einer hydrologischen Analyse sowie 2. einer Kosten-Nutzen-Analyse für das Atrium. Gerne stellen wir Ihnen hiermit diese weitergehenden Informationen zur Verfügung, zusammengestellt von unserem sachkundigen Bürger
Dr. Thomas Thielemann (Geologe):
1. hydrologische Analyse:
Wichtig für eine Analyse der hydrologischen Situation, ist die Betrachtung des Bodens als wasseraufnehmendem Medium. Das sog. Atrium und weite Teile von Neufreimersdorf werden oberflächennah von pleistozänen Kaltzeitsedimenten unterlagert, der oberen Mittelterrasse (i. W. Sand und Kies) und Weichsel-kaltzeitlichem Löß bzw. Lößlehm. Dieser Untergrund wird teilweise überlagert von holozänem Auelehm, der von nicht immer ganzjährig Wasser führenden Bachläufen abgelagert wurde. Das Gelände ist vereinfacht dargestellt eine schiefe Ebene, die von Westen nach Osten bzw. Nordosten um bis zu 10 m abfällt, lokal mit kleinräumigen Senken. In letzteren ist das Risiko für Starkregen-Schäden besonders groß. Vor Ort Begehungen während einiger Starkregen-Ereignisse der letzten Jahre haben gezeigt, dass Regenwasser z.B. aus Flächen westlich der Brauweilerstraße und von landwirtschaftlichen Flächen im Norden (Pulheimer Acker südlich „Am Schlittberg“) dem Atrium zufließt.
Um das Starkregen-Risiko einzuschätzen, erfolgt folgende Überschlagsrechnung:
Die recht undurchlässige Fläche (Au), von der Wasser im Starkregenfall einer Senke zuströmt, ergibt sich aus der Gesamtfläche des Einzugsgebietes (AE) multipliziert mit dem mittleren Abflussbeiwert (Fm) als Maß für die Versiegelung: Au = AE * Fm
Wie Begehungen vor Ort bei Starkregen gezeigt haben, ist das Einzugsgebiet AE für die ca. 5.000 qm große Senke um die Adressen Römerhofallee 38-40 mit ca. 100.000 qm abzuschätzen. Bei einem Abflussbeiwert (Fm) von 60% resultieren für die Fläche Au 60.000 qm.
Im Falle eines Regenereignisses von 80 mm Niederschlag, gleichmäßig verteilt über 4 h, gehen u.a. auf die 60.000 qm je 20 mm / (qm*h) nieder. Dieser Niederschlag strömt aufgrund der Flächenversiegelung der hier betrachteten Senke im Atrium einer Größe von ca. 5.000 qm zu. Auf dieser Fläche, die nur ein Zwölftel der Fläche Au ausmacht, kann sich der Starkregen in diesem Beispiel über 4 h auf eine Höhe von 12 * 20 = 240 mm/h aufbauen. In der Konsequenz wird hier eine Senke von ca. 5.000 qm 4 h lang je Stunde 24 cm hoch mit Wasser geflutet. Wenn große Teile dieses Wassers während des Ereignisses nicht aus der Senke versickern oder abgepumpt werden, dann kann sich punktuell eine höhere Überflutung einstellen, die in diesem Beispiel auch fast 1 m hoch ausfallen kann. Damit entspricht dieses Rechenbeispiel der Situation, wie sie lokal dort leider in ähnlicher Form eingetreten war – und auch wieder eintreten kann.
Lösungsvorschlag:
Im Grunde sind die Böden (unter dem Auelehm) in der Widdau als durchlässig bis gut durchlässig anzusprechen. Eigentlich wären sie damit bei fachlich einwandfrei ausgeführtem hydraulischem Anschluss heutigen und zukünftigen Starkregen-Ereignissen gegenüber gut gerüstet. Da jedoch ein Regenrückhaltebecken fehlt und große Flächenanteile durch die Bebauung versiegelt sind, kommt es immer wieder zu (für einige Stunden) hoch stauenden Starkregenmengen („urban flooding“). Somit sind in der aktuellen Situation problemmindernde und nicht mehr vollständig problembeseitigende Maßnahmen möglich. Die Anlage eines Regenrückhaltebeckens bzw. einer Kies-Rigole mit hydraulischem Anschluss bis auf den Terrassenkörper westlich der Hausnummern Römerhofallee 38-40 sowie die Schaffung eines dauerhaften Abflusses (Punkt 3 „Abfluss frei“ im SPD-Antrag vom 30.08.2021) können hier Abhilfe schaffen.
Wie das Bild 1 zeigt, ist für die Widdau zu erwarten (bei gutem hydraulischen Anschluss bis auf den Terrassenkörper), dass große Anteile eines Starkregens im Sinne des „Schwammstadt-Konzeptes“ schnell und schadlos durch den Untergrund aufgenommen und abgeführt werden können. So kann in Boden der Infiltrationsklasse 5 etwa 63 bis 127 mm / (qm*h) aufgenommen werden.
Bild 1: Darstellung der möglichen Versickerung (Infiltrationsraten) verschiedener Böden; Quelle: Lattermann (2010).
2. Kosten-Nutzen-Analyse:
Die Kosten-Nutzen-Analyse einer tragfähigen Vorsorge gegenüber Starkregen-Schäden lässt sich sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch vornehmen. Hier stellen wir für Sie gerne beides dar.
Wirtschaftlich:
Die Schaffung einer leistungsfähigen Regenwasser-Abflussleitung führt zu Kosten von 500 bis 1.000 EUR/m Leitung, je nach Leitungsdurchmesser, Material und Verlegetiefe. Für den Punkt 3 „Abfluss frei“ im SPD-Antrag vom 30.08.2021 sind somit für 300 m Leitung 150.000 bis 300.000 EUR zu veranschlagen. Legt man ergänzend noch ein Versickerungs- bzw. Regenrückhaltebecken von z.B. 500 qm an, so sind verschiedene Posten einzukalkulieren. Das Entfernen von Gebüsch, das Abtragen von Mutterboden, ein Aushub von z.B. bis 3 m Tiefe und ein Zwischenlagern des Aushubs sind zu beachten. Ebenso kommen die Beschaffung, der Transport und das Einbringen von Kies hinzu. So können sich je nach Marktlage 80.000 bis 150.000 EUR aufsummieren. Beide Maßnahmen (300 m Leitung und Rückhaltebecken) bleiben somit unter 500.000 EUR. Dieser Betrag liegt unter den Kosten für Schäden, welche Anwohner an der Widdau nach unserer Kenntnis in den letzten Jahren für Schadensbeseitigungen und Sicherungsmaßnahmen aufzuwenden hatten. Zukünftige Kosten der Anwohner sind noch nicht eingerechnet. Betrachtet man die Kosten nicht nur einseitig aus Sicht der Stadt, ist die Wirtschaftlichkeit dieser Maßnahmen gegeben.
Ökologisch:
Ein schadensfreies Versickern größerer Niederschlagsmengen direkt in der Widdau stärkt den Wasserrückhalt und damit auch die Vegetation und die Kühlleistung des Bodens. Für die Stadt Düsseldorf konnten Sperling, Valentin & Kastler (2019) zeigen, dass im Sommer diese Kühlleistung bei bis zu 500 kWh/qm liegt. Zusätzlich führen diese feuchten Böden zu einer Stärkung der ökologischen Vielfalt, begünstigen die Bindung von Stäuben, sorgen für Luftschneisen, reduziert den Oberflächenabfluss versiegelter Flächen und damit mögliche Schäden durch Starkregen/Überschwemmungen. In Summe wird die Lebensqualität in urbanen Räumen gestärkt (Burghardt et al. 2019).
Fazit:
Abschließend gehen wir davon aus, dass unser Antrag vom 30.08.2021 zusammen mit diesen Erläuterungen von den Verantwortlichen in Verwaltung und Politik genutzt wird, um den Bewohnern in der Widdau schnell Abhilfe bereitzustellen und die Starkregen-Gefahren für die Menschen und Anwesen dort zukünftig nachhaltig zu senken.
Verwendete Literatur:
Burghardt, W., Höke, S., Kneib, W., Kocher, B., Lehmann, A., & Steinweg, B. (2019): 30 Jahre Arbeitsgruppe Urbane Böden/Arbeitskreis Stadtböden – Eine junge Geschichte zu den urbanen Böden unter unseren Füßen. – Bundesverband Boden, Jahrgang 24; Seiten 48-56; http://docplayer.org/170118932-Bodenschutz-jahresinhaltsverzeichnis-erhaltung-nutzung-und-wiederherstellung-von-boeden-herausgegeben-vom-bundesverband-boden-e-v-24.html.
Lattermann, E. (2010): Wasserbau-Praxis. – Lehrbuch der Bauwerk Verlag GmbH; 312 Seiten; ISBN 978-3-89932-279-8; Berlin.
Sperling, C., Valentin, I. & Kastler, I. (2019): Die Karte der Bodenkühlleistung in der Stadt Düsseldorf; eJournal Bodenschutz; ISSN 1868-7741.
Mit freundlichen Grüßen
Hans Günter Eilenberger
Fraktionsvorsitzender